13.07.2016
AFD-Broschüre zum Islam

Die Thüringer Landtagsfraktion der AFD hat in diesen Tagen eine Broschüre zum Islam veröffentlicht, die in 100 000 Exemplaren kostenlos verteilen werden soll. Zugleich steht die Broschüre im Internet zum Download bereit. Binnen weniger Tage wurde sie in großer Stückzahl abgerufen. Die AFD spricht von einer „Aufklärungskampagne“ und möchte „eine Debatte über den Islam erzwingen“.

Im Grundsatz ist es gut, wenn die politischen Parteien sich an dieser Debatte beteiligen. Sie ist ohnehin längst im Gange. Doch statt eine ausgewogene Darstellung zu präsentieren, intensiviert die AFD hiermit ihre Polemik gegen den Islam. Offensichtlich möchte unterstreichen, dass der Islam nicht zu Deutschland passt und mit dem Grundgesetz unvereinbar sei.
Das Heft beginnt mit einer historischen Darstellung des Islam und seiner Entwicklung, die zwar tendenziös, im Großen und Ganzen jedoch zutreffend ist. Schwieriger wird es, wenn der Autor, der AFD-Referent für Grundsatzfragen Dr. habil. Michael Henkel, auf aktuelle Themen zu sprechen kommt. So sieht er eine "dritte Angriffswelle" des Islam auf Westeuropa. (Mit der ersten und zweiten Welle sind die islamische Frühzeit in Spanien und die osmanischen Eroberungen gemeint.) Dieser Vergleich ist völlig abwegig. Auch die Unterstellung, die aktuelle Entwicklung zeichne sich durch "Terror und Einwanderung" (S.48) aus, ist nur Polemik. Denn in den letzten Jahren sind überwiegend Muslime Opfer islamistischen Terrors geworden; Tausende fliehen zu uns, weil sie den Terror in ihrer Heimat nicht mehr ertragen können. Auch das häufig zu hörende Argument, Muslime könnten "in absehbarer Zeit zu signifikanten Bevölkerungsmehrheiten in wenigstens einigen europäischen Städten, vielleicht sogar Ländern führen" (S. 49) ist reine Panikmache. Zwar gibt es in einigen Vierteln westeuropäischer Großstädte starke muslimische Communities und in London sogar einen muslimischen Bürgermeister, aber die reine Anwesenheit dieser Muslime ist nicht das Problem. (Allenfalls deren mangelnde Integration, zu der die AFD ihren Beitrag leistet.)
Im zweiten Teil der Broschüre wendet sich der Autor einigen konkreten Themen zu. Besonders unerträglich sind seine Überlegungen zu der Annahme, wonach Muslime ihre wahren Absichten hinter einer harmlosen oder sympathischen Fassade verschleiern würden. Gemeint ist, sie akzeptieren formal die Werte des Westens, verfolgen aber insgeheim ihre eigenen Missionsbemühungen. Dieses "Argument" ist nicht neu; es wird "Taqiyya", also Täuschung oder Verstellung genannt. (S. 101f.) Diese "Pflicht zur Lüge" ist perfide, weil sie unterstellt, Muslime würden grundsätzlich lügen. Doch damit wird jeder Dialog unmöglich. Es ist kein Zufall, dass die Nationalsozialisten im sog. "Dritten Reich" den Juden ebenso eine solche, grundsätzliche Verstellung nachgesagt haben.
Übrigens zeigt bereits der Blick in die vorliegende Broschüre, dass das Argument der Taqiyya nicht stimmt. So zitiert der Autor mehrfach islamische Quellen, die schonungslos Einblick in die eigenen Absichten gewähren. So schreiben z.B. die Ahmadiyya, also jene, die in Erfurt eine Moschee planen, in einem Faltblatt, dass gemeinsame Partys von Männern und Frauen verboten sind.
Es wundert nicht, dass viele Menschen an solchen unzeitgemäßen Positionen Anstoß nehmen. Wir brauchen daher Diskussionen über den Islam - wir brauchen aber vor allem Diskussionen und Gespräche mit Muslimen.
Die AFD-Broschüre zum Islam gehört in die Abteilung der sehr kritischen und abgrenzenden Publikationen. Diese Stimmen haben ihre Bedeutung. Jedoch werden wir das Zusammenleben in der Gesellschaft nur fördern, wenn wir Ausgleich und Verständigung suchen. Dass die AFD mit dem Thema Islam Wahlkampf betreibt, wird die notwendige Auseinandersetzung nicht befördern.

Andreas Fincke

Dr. Andreas Fincke ist Erfurter Studierendenpfarrer der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland und leitet die Evangelische Stadtakademie Meister Eckart Erfurt (Regionalstelle Nord der Evangelischen Erwachsenbildung Thüringen). Er vertritt die Evangelischen Kirche Mitteldeutschlands beim Forum für den interreligiösen Dialog in Thüringen.