27.04.2017
Juden und Christen – Themenschwerpunkt beim Erfurter Kirchentag

Das war nicht ganz koscher! So sagen wir, wenn etwas nicht stimmt oder nicht in Ordnung ist. Und in der Geschichte des Verhältnisses der Christen zu den Juden war durchaus nicht alles „koscher“. Darum muss im Reformationsgedenkjahr auch Martin Luthers Judenfeindschaft als „Geburtsfehler der Reformation“ bei den Kirchentagen auf dem Weg zur Sprache kommen. Dazu lädt die Jüdische Landesgemeinde Thüringen am 26. und 27. Mai 2017 ein in ihr Kultur- und Bildungszentrum am Juri-Gagarin-Ring 21.

Erfurt ist neben Berlin der einzige Ort mit einem jüdisch-christlichen Begegnungs-, Studien- und Kulturprogramm im Kirchentag. Die Thüringer Landeshauptstadt gilt mit ihrer mittelalterlichen Synagoge und einem jüdischen Gold­- und Silberfund einerseits als Schatztruhe jüdischer Religion und Kultur in Mitteleuropa. Doch auch eine Geschichte der Pogrome vom Mittelalter bis ins „Dritte Reich“ wurde hier geschrieben. Die Firma Topf & Söhne baute in Erfurt die Öfen von Auschwitz.

Heute ist die einzige in der DDR gebaute Synagoge das religiöse Zentrum der Jüdischen Landesgemeinde Thüringen. Dank der Zuwanderung von Jüdinnen und Juden aus der früheren Sowjetunion hat sie inzwischen mehr als 800 Mitglieder – in Wendezeiten waren es nicht einmal mehr zwei Dutzend.

Zum Erfurter Kirchentag auf dem Weg öffnet die Gemeinde am 26. und 27. Mai ihr Kultur- und Bildungszentrum am Juri-Gagarin-Ring 21 zum Dialog – ein Zeichen neu gewachsenen Vertrauens. Landesrabbiner Benjamin Kochan erklärt den Gästen jüdisches Leben nach den Speisegeboten der Tora. Wie die Zubereitung von koscherem Essen funktioniert, zeigen Schüler und Pädagogen der CJD Erfurt Christophorusschule und Mitarbeiter der Erfurter Werkstätten beim Kirchentag Erfurt. Das CJD Erfurt versorgt die Gäste des Kirchentages mit koscherem Essen. Hier gibt es zum Frühstück, Mittag und Kaffee frisch zubereitete Speisen.

„Das war nicht ganz koscher. Reines und Unreines in der Bibel und bei Martin Luther“ – lautet das Motto der zwei Tage im Themenzentrum Juden und Christen des Kirchentages. Professor Dr. Matthias Morgenstern, Religionswissenschaftler und Judaist aus Tübingen, stellt Martin Luthers Schrift „Von den Juden und ihren Lügen“ als Dokument der Schande vor. Der damalige Thüringer Landesbischof Martin Sasse hatte sie noch 1938 – nach der Pogromnacht, in der auch Erfurts prächtige Synagoge am Ort des heutigen Nachfolgerbaus ein Opfer der Flammen wurde – neu herausgegeben.

Wie dieser und andere Traktate des Reformators auch mit seiner Bibelauslegung, vor allem der  des Alten Testaments, in Verbindung stehen, erläutert Professor Dr. Peter von der Osten-Sacken aus Berlin. Er ist einer der bekanntesten und engagiertesten Theologen im christlich-jüdischen Dialog. In Erfurt wurde ihm 2005 dafür die Buber-Rosenzweig-Medaille als bedeutende Auszeichnung für sein Werk und sein Wirken verliehen.

Die von Peter von der Osten-Sacken initiierte und mitgestaltete Ausstellung „Martin Luther und die Juden“, die im Kultur- und Bildungszentrum zu sehen sein wird, führt über das belastete Erbe auch zu neuen Aufbrüchen.

Pfarrerin Sibylle Biermann-Rau (Tübingen) zeigt am Beispiel von Elisabeth Schmitz, die der Bekennenden Kirche angehörte, und ihres Einsatzes für die Juden, dass es ein andere als die überkommene judenfeindliche Haltung selbst im Nationalsozialismus gegeben hat.

Alles in allem freilich war das jüdische Werben um Verständnis und Anerkennung seitens der Kirche und der Christen „eine tragische Liebesgeschichte“. So überschreibt Professor Dr. Christian Wiese, Judaist und evangelischer Theologe aus Frankfurt am Main, seinen Vortrag über „Jüdische Lutherdeutung vor der Schoa“.

Ein Workshop über kleine Zeichen des Neubeginns am Freitag mit dem Erfurter Stadtplaner und Denkmalpfleger Dr. Carsten Liesenberg wird zum Ausklang des Programms ergänzt durch ein Podium und Diskussionsforum vor dem Hintergrund des antijüdischen Erbes der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland: „Hier stehen wir und wollen anders“.

Nicht-Koscheres bei Martin Luther: Es war Josel von Rosheim, dem zur Reformationszeit wichtigsten Vertreter der jüdischen Gemeinden in Deutschland, der bereits den Aspekt des „Unreinen“ bei Luther empfunden hatte. Daher ist parallel zum Programm in den Räumen der jüdischen Gemeinde eine ihm gewidmete Ausstellung zu sehen – räumlich entfernt in der Erfurter Michaeliskirche, denn Luther hatte es trotz Josels eindringlicher Bitte strikt abgelehnt, dem Juden zu begegnen.

Das vollständige Programm des Themenzentrums gibt es als Download im Internet:
http://j.mp/iss-das-koscher

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