13.11.2017
Käßmann zum Ende des Reformationsjubiläums

"Wir sehen jetzt durch einen Spiegel in einem dunklen Bild" (1. Korinther 13, 12) - so der Predigttext der EKD-Reformationsbeauftragten Margot Käßmann an Martini am 10. November in Erfurt. Hier der Text zum Nachlesen.

Ökumenischer Gottesdienst als Endpunkt des Thüringer Reformationsjahres 2017 


Liebe Gemeinde, das Kind hat die richtigen Fragen gestellt an die beiden Martins heute Abend, oder? Und es ist gut, wenn Kinder so klar fragen: War es richtig, den Mantel zu zerreißen? Und was ist denn klar in deinem Leben? Manchmal sind Kinder durchaus klarer als Erwachsene, weil sie Dinge aussprechen, die wir uns gar nicht zu benennen trauen. Da sagt ein Kind, als die Tante zu Besuch kommt: „Du bist ja dick, bekommst du ein Baby?“ Und wir sagen alle: „Pscht!“, obwohl wir das selbst gern gefragt hätten. Ein anderes Kind fragt laut im Krankenhaus: „Muss der Opa jetzt sterben?“. Es wird ganz schnell aus dem Zimmer gescheucht, obwohl es für alle gut wäre, genau dieser Frage nicht auszuweichen, weil sie im Raum steht.

Wir haben heute bei der Martinifeier zwei Männer vor Augen, die durch Legenden berühmt geworden sind. Es sind Legenden, die zeigen, wofür sie eingestanden sind mit ihrem Leben. Der eine, Martin von Tours, ist in der ganzen Welt berühmt dafür geworden, dass er vor 1600 Jahren – könnt ihr euch das vorstellen, Kinder, das ist SEHR lange her! – vor so langer Zeit also durch den Schnee ritt, als ein frierender Mann vor ihm lag. Der Mann tat dem Soldaten Martin leid. Er hielt an und teilte seinen Mantel, damit der Bettler sich wärmen konnte. In der Nacht darauf hatte er einen Traum. Jesus erschien ihm als dieser bettelnde Mann. Martin begreift, dass im Grunde Jesus Christus selbst vor ihm lag. Denn das hat Jesus ja gesagt: Wann immer wir einen Hungernden speisen, einen Kranken besuchen, einen Fremden aufnehmen, da begegnen wir ihm selbst. Martin ließ sich taufen und konnte deshalb nicht länger Soldat sein, denn das war Christen damals verboten. Die Menschen verehrten ihn so sehr, dass sie ihn zum Bischof von Tours machen wollten. ER selbst fand sich nicht geeignet und versteckte sich in einem Gänsestall, so erzählt es eine Legende. Die Gänse aber schnatterten so laut, dass Martin entdeckt wurde. So kam es zu den „Martinsgänsen“ und Martin wurde also doch Bischof. Er starb am 11. November 397, deshalb wurde dieser Tag, morgen also, St. Martinstag genannt.

Der andere Martin wurde fast tausend Jahre später am 10. November 1483 geboren. Am Tag danach wurde er in Eisleben getauft. Am Martinstag also, an dem an Martin von Tours erinnert wird. Und so erhält er seinen Namen. Später wird Martin Luder Mönch hier im Kloster in Erfurt. Er hat große Angst vor Gott, ständig fühlt er sich sündig. Eines Tages aber begreift er: Gott will mich gar nicht dauernd bestrafen, Gott liebt mich ja! Das ist für ihn eine riesengroße Befreiung. Er nennt sich jetzt Luther, was er vom griechischen Wort Eleuterios, der Freie ableitet. Dieser befreite Martin Luther legt sich mit seiner Kirche an. Er sieht in der Bibel überhaupt keinen Beleg dafür, dass die Kirche Sünden vergeben könnte gegen Geldzahlung. Und so veröffentlicht er vor 500 Jahren seine Thesen, die die Reformation, die schon lange in der Luft liegt, endgültig in Gang bringen.

Die Legende wird später vor allem davon erzählen, wie Martin Luther für seinen Glauben furchtlos eintritt vor „Kaiser und Reich“ und trotz aller Drohungen erklärt: Hier stehe ich. Ich kann nicht anders, Gott helfe mir. Amen. Es geht also um zwei Männer heute Abend, die in einer bestimmten Situation in ihrem Leben ganz klar Farbe bekannt haben, wie wir heute sagen würden. Martin von Tours hätte weiterreiten können – es gibt so viele Bettler, einem helfen bringt doch nichts. Und es wäre gut, jetzt schnell heimzukommen. Aber ihm ist klar: Jetzt muss ich handeln! Martin Luther hätte sagen können: Ach was, ich riskier doch jetzt nicht mein Leben und lege mich mit dem Papst und dem Kaiser an. Vielleicht liege ich ja auch völlig falsch mit meiner Kritik an der kirchlichen Lehre. Besser ist es doch, nicht so aus der Reihe zu tanzen. Und weniger riskant außerdem! Aber er konnte nicht anders. Er hatte klar erkannt, was schief lief, da wollte er nicht länger schweigen.

Beide Männer sind weltbekannt geworden, weil sie sich nicht weggeduckt haben! An den einen wird eher in der römisch-katholischen Kirche erinnert, an den anderen eher in der evangelischen Kirche. Aber wir können heute gut ökumenisch die beiden Martini – das ist der Plural von Martin oder Martinus - feiern, weil sie es beide gewagt haben, ihren Glauben standhaft umzusetzen mitten in der Welt. Das ist ein christliches Anliegen für uns alle. Gerade in einer Zeit, in der immer weniger Menschen in Deutschland einer Kirche angehören, etwas vom Glauben wissen, ist uns eben auch klar: Uns Christen verbindet viel mehr als uns trennt! Deshalb haben wir in diesem Jahr auch mit Christen aus aller Welt und aus allen Kirchen der Welt Reformation gefeiert. Das war besonders hier in Mitteldeutschland so, weil sich die Reformation eben hier abgespielt hat. In Erfurt war Martin Luther im Kloster, auf der Wartburg hat er die Bibel in die deutsche Sprache übersetzt. Und so beschließen wir mit diesem Gottesdienst das Thüringer Festjahr zum 500jährigen Reformationsjubiläum.

Wir sind dankbar, dass wir so wunderbar und gemeinsam feiern konnten. Liebe Gemeinde, der Apostel Paulus schreibt im ersten Brief an die Korinther: „Wir sehen jetzt durch einen Spiegel in einem dunklem Bild, dann aber von Angesicht zu Angesicht“. Das heißt, wir verstehen nicht alles, was auf der Welt geschieht. Und wir verstehen auch nicht alles, was den Glauben betrifft. Wir fragen uns, warum Gott Leid und Armut zulässt auf der Welt. Wir begreifen nicht, dass es immer noch Kriege gibt und Menschen, die mit Waffen handeln. Manchmal haben wir das Gefühl, wir können gar nichts tun. Die Welt ist so kompliziert, so unübersichtlich, vieles macht uns auch Angst.

Deshalb ist die Frage: Wo müssen wir denn heute klar und aufrecht dastehen? Können die beiden Martins uns helfen, die richten Antworten zu finden? Ich denke, Martin von Tours lehrt uns mit seinem Verhalten vor 1600 Jahren: Wir müssen klar eintreten für die Menschen, die arm sind! Die gibt es auf der ganzen Welt und leider auch in unserem Land. Ich denke bei uns an die Obdachlosen, gerade jetzt in der kalten Zeit. An alte Leute, die allein sind und wenig Rente haben. An Flüchtlinge, die nicht arbeiten dürfen und es schwer haben, anzukommen bei uns. Aber vor allem auch an Kinder. Es ist schön, dass so viele von euch hier sind heute. Wir wünschen uns, dass ihr alle eine fröhliche, unbeschwerte Kindheit habt. Aber wir wissen, dass das nicht immer so ist. Viele Kinder sind arm. Viele erleben Gewalt. Viele werden von anderen ausgegrenzt. Ein Martinstag sollte uns alle mahnen: Wir sollten anhalten und schauen, wie es den Kindern geht. Brauchen Sie einen Mantel, ein liebes Wort, ein offenes Ohr. Brauchen die Mütter Entlastung? Wo können wir sie unterstützen? Und wenn jetzt Koalitionsverhandlungen laufen, sollte die Lage der Kinder in unserem Land und auf unserer Welt auf die Tagesordnung gesetzt werden und zwar ganz oben!

Und Martin Luther vor 500 Jahren, wo hilft er uns heute, klar zu sehen? Ich bin in diesem Jahr oft gefragt worden: Was würde Martin Luther dazu sagen? Das kann ich oft nicht beantworten! Von Fracking, homosexuellen Lebenspartnerschaften oder Embryonenforschung hatte er keine Ahnung. Aber er wäre schockiert, wie wenig vom Glauben die Rede ist in unserem Land. Wettern würde er wahrscheinlich in so einer Predigt: „Christen, macht´s Maul auf! Tretet fest auf!“. Er könnte nicht verstehen, dass wir manchmal so stumm sind, weil für ihn die Lebensfragen doch immer mit dem Glauben zusammenhingen. Luther hat am Ende die Kirchen und die Welt verändert, aber zuallererst ging es ihm um den Glauben. Darum sollten die Menschen doch ringen!

Das gilt umso mehr, als wir in einem Land leben, in dem jeder Mensch in Fragen des Glaubens frei ist. Erzählen wir also die Geschichten der Bibel weiter, gerade den Kindern. Sprechen wir davon, was uns der Glaube bedeutet, wo er uns hilft, eine klare Haltung einzunehmen im Leben. Ermutigen wir andere Menschen, zu beten. Christinnen und Christen vertrauen darauf, dass eines Tages, wenn wir Gott von Angesicht zu Angesicht sehen werden, das Fragen ein Ende hat. Dann wird uns vieles klar werden, was wir jetzt nicht verstehen.

Aber bis es soweit sein wird, versuchen wir hier auf der Welt, in unserer Zeit, in unserem Land, in unserem Leben die Schritte zu gehen, die uns möglich sind. Indem wir einen Mantel teilen. Indem wir offen und mit klarer Haltung eintreten für Menschen, die arm sind, die keine Wohnung haben, die als Flüchtlinge in unser Land kommen – und vor allem für die Kinder! Und wir können klare Schritte gehen, indem wir für unseren Glauben einstehen. Indem wir uns nicht wegducken, weil es uns irgendwie peinlich ist, über Jesus und Gott zu sprechen, sondern wir sagen, wieviel Klarheit der Glaube für unser Leben bringt. Das können sehr kleine Schritte sein. Vielleicht eine klare Frage zur rechten Zeit. Oder ein gutes Wort, das jemand dringend braucht. Aber immer, wenn das geschieht, dann wird die Welt ein wenig heller. Und so wie heute hier in Erfurt viele kleine Laternenlichter einen ganzen Platz erhellen, so können unsere kleinen Schritte die Welt heller machen, wenn viele sie gehen. Dazu können wir uns heute Abend gegenseitig ermutigen! Amen.